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Titel
Fomenta campaniae. Ein Kommentar zu Senecas 51., 55. und 56. Brief


Autor(en)
Hönscheid, Christoph
Reihe
Beiträge zur Altertumskunde 190
Erschienen
München 2004: K.G. Saur
Anzahl Seiten
X, 205 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Die griechischen christlichen Schriftsteller, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Für seine "leicht überarbeitete" Kölner philologische Dissertation hat Hönscheid sich ein so reizvolles wie griffiges Thema gewählt - eine Momentaufnahme der Philosophie Senecas in dreien seiner Briefe an Lucilius. Diese drei Briefe sind mit Bedacht gewählt: sie alle handeln von den "Annehmlichkeiten Kampaniens" (fomenta Campaniae), wie sie in konkurrenzloser Fülle Baiae offeriert, das mondänste aller antiken Seebäder. Impetus dieser drei Briefe (51, 55 und 56) ist gewissermaßen ein Paradox: wie kann stoische Lebensführung sich bewähren im Angesicht der fleischgewordenen Versuchung, mit der ein Ort wie Baiae nicht nur den Philosophen auf Schritt und Tritt konfrontiert?

Die Einleitung vermittelt den Forschungsstand zu Senecas Briefkorpus (samt einem Blick auf die komplexe Überlieferungsgeschichte). Zu Recht unterstreicht Hönscheid den öffentlichen Charakter dieser späten Lehrbriefe, die Seneca ein letztes Mal in der Rolle des Erziehers und Psychagogen zeigen. Auch das ungewöhnliche Medium lässt sich erklären: einem verwöhnten Publikum sucht der Philosoph seine herbe stoische Kost in zuträglichen Portionen zu verabreichen. Ein konzises Porträt Baiaes beschließt den Vorspann. Diese kurze Skizze verdient schon deshalb Beachtung, weil eine Monografie zu Baiae, sei es aus historischer oder archäologischer Sicht, nach wie vor ein dringliches Desiderat bleibt.

Der entscheidende Part des Buches sind die drei Kapitel zu den drei Briefen. Sie präsentieren jeweils die Gliederung eines Briefes, um dann die einzelnen Abschnitte zu paraphrasieren und zu kommentieren. Kurze "Schlussbemerkungen" fassen Essentielles zusammen (auf die nahe liegende Idee, jedem Kapitel den lateinischen Text samt Übersetzung voranzustellen, kamen leider weder Autor noch Verlag).

In ihrer Summe macht die Arbeit einen vorzüglichen Eindruck. Hönscheid hat sich in Senecas Philosophie gut eingelesen; sorgfältig illuminiert er die Argumentationsschritte der Briefe und verknüpft sie mit den anderen philosophischen Schriften des Stoikers. Hier bleiben kaum Wünsche offen. Aber auch in der Präsentation der Realien zeigt er Stärken (überraschend breiten Raum nimmt die Behandlung textkritischer Probleme ein). Schwungvoll lesen sich die langen Ausführungen zur römischen Eckkneipe, der popina (S. 29ff.); und in Senecas bunten Impressionen aus der Badeanstalt (ep. 56,1-2) geht Hönscheid noch der kleinsten Spur nach - ob es sich nun um Bodybuilder oder Handballer handelt, um Limonadenhändler oder Würstchenverkäufer (nur mein Lieblingszitat aus Senecas Bäderkritik habe ich vergebens gesucht, dial. 10,12,7: audio quendam ex delicatis [...] cum ex balneo inter manus elatus et in sella positus esset, dixisse interrogando 'iam sedeo?').

Doch gerade solche hellen Stellen im Kommentar werfen ihre Schatten auf manche Flüchtigkeiten. Drei Beispiele für Gegenstände, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, mögen genügen (rein sprachliche Betrachtungen bleiben ausgespart): (1) Wenn von den (natürlichen und künstlichen) Grotten die Rede ist, die wohlhabende Römer so gerne in ihre Villenanlagen integrierten, heisst es lapidar: "Eines der berühmtesten Beispiele ist die des Tiberius." (S. 123) Punkt. Nicht einmal der Name Sperlonga fällt. Ein paar Sätze zu einem der denkwürdigsten kaiserlichen Bauwerke Italiens hätten das Bild lebendig werden lassen. (2) Dass Platanen nur ihres Schattens halber geschätzt wurden (S. 124), greift zu kurz. Kaum ein anderer Baum verkörpert so den locus amoenus, von der Ilias (2,307: "unter der schönen Platane, von wo funkelndes Wasser strömte") über Platon, der Sokrates im Phaidros unter einer Platane philosophieren lässt, zu Horaz, Vergil und dem antiken Roman. (3) Wenn von römischen Autoren die Rede ist, "die ihre Werke in der Badeanstalt vorlasen" (S. 151), warum nicht auch ein Wort zu der köstlichen Szene aus Petron (Sat. 91,3; 92,6)? - Das negative Urteil über Kleopatra (S. 28) übrigens steht in der Schuld der augusteischen Quellen, denen an einer fairen Beurteilung der Gegenspielerin Octavians bekanntlich wenig gelegen war.

Kurzum - etwas Abstand und ein paar Monate Feinschliff hätten den viel versprechenden Erstling recht zum Funkeln gebracht. Aber auch der rohe Stein weiß den Betrachter oft genug zu erfreuen. Wer ein paar Tage in Kampanien vor sich hat und für den Ausflug nach Baiae Senecas Flaschenpost an die Nachwelt ins Gepäck legt, ist nicht schlecht beraten, wenn er sich zum Cicerone Hönscheid wählt.

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